Machen wir einfach online weiter?

Ausserschulische MINT-Aktivitäten in Zeiten der Pandemie

 

Erste Reaktionen auf die Pandemie

Um es vorwegzunehmen – im Raumschiff haben wir (noch) nicht auf online umgestellt. Eine an die Tür geklebte Bildergeschichte erzählte, warum wir alle zu Hause bleiben müssen, ein paar Links auf der Webseite leiteten zu Aktivitäten des Science Centers Exploratorium weiter. So schlossen wir im März 2020 die Türen.

Im Juli konnten wir den unterbrochenen Kinderkurs abschliessen und im September/Oktober gelang es uns, einige Mini-Workshops mit neuem Covid-Konzept durchzuführen. Seit November ist das Raumschiff wieder zu. Inzwischen ist es offensichtlich, dass die Pandemie eine längere Geschichte ist, die wir nicht einfach aussitzen können.

Andere Organisationen, vor allem grössere Science Centren, stellten in kurzer Zeit und mit viel Engagement und Kreativität auf Onlineangebote um. Beispielsweise die Science Gallery Dublin[1] oder Ars Electronica in Linz: Ausstellungen, geführte Touren, Festivals, Symposien, Workshops – alles online und vieles sogar live. Ich war beeindruckt.

Auch mit online Tüftel-Sessions wurde experimentiert, so bei Wonderful Idea Co., die für die online Konferenz der europäischen Science Centren Ecsite einen grossen Tüftelworkshop organisierten. Meine erste Erfahrung mit online tüfteln hat Spass gemacht!

Im Raumschiff waren wir noch nicht bereit, uns ins online Abenteuer zu stürzen. Wir befürchteten, so einen Teil unserer ‘Stammkundschaft’ zu verlieren, besonders die Kinder des Quartiers. Daher entschieden wir, vorerst zu beobachten, wie sich die Situation entwickelte.

 

Erfahrungen mit Fernunterricht an öffentlichen Schulen

Bereits im April fanden erste Untersuchungen zum Corona-bedingten Fernunterricht an öffentlichen Schulen statt[2]. Die Resultate waren ernüchternd. Rund ein Drittel der Kinder hätten wenig bis gar nichts gelernt, da im online Unterricht die direkte Betreuung durch die Lehrperson gefehlt habe, fasste Franziska Peterhans vom Dachverband der Lehrer*innen die Erkenntnisse zusammen[3]. Laut UNICEF hatten weltweit ein Drittel der Kinder während des ersten Lockdowns keinen Zugang zu online Unterricht[4]. Gleichzeitig hörte ich von Bekannten, dass ihre Kinder zu Hause viel besser lernten als in der Schule. Die Bildungsschere öffnet sich gerade gewaltig.

Links: Fernunterricht per Radio während der Covid-19-bedingten Schulschliessungen in Ruanda. © UNICEF/UNI319836/Kanobana. Rechts: Fernunterricht in der Schweiz. Nur wenige konnten gut lernen. ©SRF

 

Ausserschulische Bildungsorte

Ähnliche Untersuchungen zu ausserschulischen Lernorten wie Museen und Science Centren fehlen bisher. Hier ging es zuerst ums Überleben als Institution. Mussten Mitarbeitende entlassen werden? Drohte gar der Konkurs? Im November schätzte die American Alliance of Museums, dass 30 % der Einrichtungen möglicherweise nicht in der Lage sein würden, nach der Pandemie ohne erhebliche staatliche Unterstützung wieder zu öffnen[5]. In der Schweiz schloss das Museum for Digital Arts MUDA bereits Ende Juni die Türen – definitiv. Unverständlich, dass gerade für dieses kleine, wunderschöne und hoch aktuelle Museum mit einem top MINT-Angebot für Schulen die Unterstützung fehlte. Welch ein Verlust!

Untersuchungen zur ‚Museumsindustrie‘ fokussierten auf Konsumentenverhalten und Stimmungsanalysen. Würden die Leute nach dem Lockdown wiederkommen? Würden sie Geld ausgeben können?

Einige Institutionen planten, ihre schwindenden Ressourcen nach der Wiedereröffnung in wohlhabende Besucher*innen zu investieren, um wieder Einkommen generieren zu können. Dies löste eine Debatte aus über ‘das Überleben der Institution’ versus ‘Soziale Verantwortung der Institution’[6].

Im Vergleich zur öffentlichen Schule, die sich trotz der schwierigen Situation auf den Unterricht konzentrieren konnte, ist es erschütternd zu sehen, wie verletzlich ausserschulische Bildungsorte und kulturelle Institutionen auf dem ‘freien Markt’ sind[7]. Ein Windstoss, und das finanzielle Kartenhaus bricht zusammen. Wertvolle Ressourcen gehen verloren, weil die Arbeitszeit für die Geldbeschaffung eingesetzt werden muss statt für die Aufrechterhaltung von Dienstleistungen an die Gesellschaft.

Fragil, aber vielleicht auch agil? In kurzer Zeit entstanden unzählige Versuche, ein beschränktes Angebot entweder draussen im Freien oder online aufrecht zu erhalten. Als Geschäftsmodell, um pandemiegeschädigte Institutionen zu retten, taugen jedoch weder Freiluftaktionen noch online Angebote. Wer würde dafür bezahlen?

 

Digitalisierungsschub mit Entwicklungspotential

Eine der grossen gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ist die Beschleunigung der Digitalisierung am Arbeitsplatz, in der Schule und im Privatleben.

Im Bereich ausserschulisches MINT-Lernen ist das Internet um einiges reicher geworden an Videoanleitungen für MINT-Aktivitäten, Geschichten über Museumsobjekte, Einblicken in die Forschung und vieles mehr, oft in hoher Qualität. Aber es gibt Raum nach oben, zum Beispiel bezüglich soziale Interaktionen, pädagogische Qualität sowie Chancengleichheit.

Die Chancenungleichheit während der Pandemie zu verkleinern statt zu vergrössern ist eine riesige Herausforderung. UNICEF rief im November die Regierungen auf, während der Pandemie sicherzustellen, dass alle Kinder Zugang zu Bildung haben, indem die digitale Kluft geschlossen wird[8]. Obwohl ausserschulische Lernorte diese Aufgabe den Regierungen und den öffentlichen Schulen nicht abnehmen können, sollen wir dem Thema höchste Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir uns nicht darum kümmern, wie und für wen Lernangebote zugänglich sind, wird sich die digitale Kluft vergrössern.

Im Raumschiff werden unsere nächsten Schritte in diese Richtung gehen. Wir fragen uns, wie die technischen und sozialen Bedingungen der Teilnahme an online Angeboten mitgedacht und ins Programm eingeplant werden können. Als erstes arbeiten wir an online Workshops, bei denen alle mit minimaler Technik (z.B. Mobiltelefonen) mitmachen können. Ob das klappt, werden uns die Kinder des Quartiers zeigen.

Es ist deutlich geworden, dass wir nicht einfach weiter machen können wie bisher. Die Krise wird zu lange dauern. Nach dieser kann jederzeit eine neue Pandemie unser Leben wieder einschränken. Wir müssen damit kreativ umgehen lernen.

 


 

[1] Ian Martin, Fiona McLoone. Covid-19 in the Museum Space, 22. Oktober 2020  
[2] Detlef FickermannBenjamin Edelstein (Hrsg.) „Langsam vermisse ich die Schule …“: Schule während und nach der Corona-Pandemie. 2020, DDS Die Deutsche Schule Beiheft, Band 16
[3] Franziska Peterhans, Zentralsekretärin Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) SRF News, 4.1.2021
[4] Unicef-Bericht: Bildungskrise durch Covid-19: Jedes dritte Schulkind hatte keinen Zugang zu Fernunterricht , 27. August 2020
Für englische Version: https://www.unicef.org/press-releases/unicef-calls-averting-lost-generation-covid-19-threatens-cause-irreversible-harm
[5] National Snapshot of COVID-19 Impact on United States Museums (October 2020). American Alliance of Museums Research a d Reports, November 2020
[6] Emily Dawson, Barbara Streicher. Responding to the pandemic: a social justice perspective. Ecsite Spokes 63, May 2020
[7] Survey on the impact of the COVID-19 situation on museums in Europe. Network of European Museum Organizations, May 2020
[8] Averting a lost COVID generation: A six-point plan to respond, recover and reimagine a post-pandemic world for every child. World Children’s Day 2020 Data and Advocacy Brief, November 2020
 

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