Eine Alternative zum online Tüfteln: der Motörli-Frühling
Nach der Erfahrung mit dem Smartphone, die ich im vorangegangenen Beitrag beschrieb, suchten wir nach Möglichkeiten des gemeinsamen Tüftelns unabhängig von Internet und der damit verbundenen Technologie.
Ein hybrides Konzept fürs Tüfteln zu Hause
Wieder soll das zu Hause Tüfteln und das Einrichten eines kleinen Arbeitsplatzes im Vordergrund stehen. Das Material soll in einer Tüftel-Box zur Verfügung gestellt werden. Anstelle eines Bildschirms soll das Schaufenster im Raumschiff die Kommunikationsfläche darstellen. Dies ist möglich, da die meisten Teilnehmer*innen im Quartier wohnen und problemlos täglich oder nach Bedarf vorbeischauen können. Zusätzlich soll für die Eltern ein Padlet board eingerichtet werden. Nicht als Voraussetzung fürs Mitmachen, sondern um eine online Kommunikation anzubahnen und zu testen. Falls es die Pandemiesituation erlaubt, sollen kurze persönliche Treffen durch den Workshop führen. Kurz: es entstand ein Workshop für 7-11jährige mit einem hybriden und flexiblen Konzept, der zehn Tage dauerte und bei dem fast alle Register gezogen wurden.
Aktivität: tüfteln mit Motörchen
Welche Aktivität würde nicht nur den 7-11jährigen Kindern, sondern auch deren Eltern gefallen? Eltern, von denen viele nie ins Raumschiff kommen, die möglicherweise dem Spielen und Tüfteln nicht den gleichen Wert beimessen wie wir. Es soll etwas ‘Schönes’ sein mit einem gewissen wow-Effekt, vielleicht sogar irgendwie brauchbar.
Wir entschieden uns für das Thema DC-Motörchen mit einer Malmaschine als Startaktivität. Der wow-Effekt ist da, sobald man einen Stift auf die Drehscheibe hält. Die bunten Farben, die perfekten Kreise und die erstaunlichen Farbeffekte sind ‘schön’. Und vielleicht kann man mit der Malmaschine Dekorationen für ein Geburtstagsfest herstellen?
Eine Malmaschine anstelle eines Fahrzeugs als Startaktivität würde dem Stereotyp Technik=Auto=männlich entgegenwirken. Ich war sicher, dass wir damit die Mädchen an Bord haben.
Die Aktivität ist offen und kann beliebig erweitert werden: Farben mischen und andere Experimente mit der Drehscheibe, neue motorgetriebene Maschinen wie Propeller oder Fahrzeuge, programmieren der Motörchen mit micro:bit – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der Motörli-Frühling war geboren!
Ausgewähltes Material für die Tüftel-Box
Alles war drin, damit auch Kinder, die zu Hause weder Schere, Stift oder Klebstreifen haben, die Malmaschine bauen, damit verschiedene Experimente durchführen und neue Sachen erfinden können (inzwischen stehe ich der Aussage ‚Das haben wir nicht zu Hause!‘ zwar etwas skeptischer gegenüber:-)
Die Box soll zudem der Start für eine eigene Tüftelsammlung sein. Das Material soll dazu animieren, es mit Fundstücken aus dem Haushalt und von anderswo zu ergänzen.
Das Schaufenster als Kommunikationsplattform
Das Schaufenster sowie ein kleiner Briefkasten waren die Schnittstellen für die Kommunikation miteinander. Darin zu sehen:
- Willkommensgruss und Beschreibung des Workshops
- der Inhalt der Tüftel-Box
- ein Modell der Malmaschine inkl. elektrischem Kreislauf zum abgucken
- Ideen, was man mit der Malmaschine alles machen kann
- ein Bildschirm mit Bildern und Videos der Malmaschine in Aktion
Zusätzlich während der zehn Tage des Workshops:
- täglich neue Tüfteleien in der Ausstellung, zur Inspiration
- ausgestellte Objekte der Teilnehmer*innen
- tägliche Updates des Bildschirms mit Tüfteleien der Teilnehmer*innen
- tägliche Updates des Padlet boards und der Raumschiff-Seite
- gelegentliches Live-Tüfteln im Schaufenster
Ablauf des Workshops
Der Workshop dauerte zehn Tage und fand während der Frühlingsferien statt, mit Anmeldung.
- Start: Die Teilnehmer*innen holen ihre Tüftel-Box einzeln ab und ‘testen’ den Motor (damit wurde der elektrische Kreislauf eingeführt) > zu Hause tüfteln
- Es geht weiter: Drei Tage später findet ein zweites individuelles Treffen statt, an dem die ersten Tüftelerfahrungen und neue Ideen besprochen werden. Die Teilnehmer*innen können neues Material auswählen, das sie für die Weiterarbeit brauchen > zu Hause weiter tüfteln
- Abschluss: Vor dem Raumschiff findet eine gemeinsame Mitmach-Tüftelausstellung statt, zu der auch die Eltern eingeladen sind > zu Hause kann auch nach dem Workshop weitergetüftelt werden.
Funktioniert das Konzept?
Einen Monat, nachdem die Kinder ihre Anmeldung in den Briefkasten geworfen hatten, standen fast alle am richtigen Tag vor der Raumschiff-Tür bereit, einige viel zu früh.
Sie freuten sich sehr über die Tüftel-Box und die Tatsache, dass sie alles, was drin war, behalten durften. Aber zu Hause tüfteln? Denkste! Sie schleppten ein paar Tische raus und legten gleich vor dem Raumschiff los. Gemeinsam. Lange, konzentriert und mit viel Spass. Auch jüngere Geschwister machten mit. Bereits wurden neue Ideen ausprobiert.
Beim zweiten Treffen waren nicht mehr alle Kinder dabei. Diejenigen, die kamen, waren die echten Tüftel-Nerds und hatten zu Hause an ihren Projekten weitergearbeitet.
Zwischen den Treffen kamen einzelne Kinder vorbei, um sich ein abgebrochenes Kabel an ihr Motörchen löten zu lassen, eine Batterie auszutauschen oder ein Bauteil zu holen, dass sie brauchten.
An der Schlussausstellung zeigten die Kinder mit viel Engagement, was sie gemacht hatten, und liessen die Besucher*innen ausprobieren. Es wurde nochmals eine Runde heftig getüftelt, und neue Ideen entstanden. Eine einzige Mutter kam schauen, ein paar Bewohner*innen des Quartiers, und schliesslich tauchten auch ein paar Teilnehmer*innen auf, die ihre Box weiss der Gugger warum zu Hause gelassen hatten und trotzdem gucken wollten, was die andern gemacht hatten.
Das Schaufenster wurde zur Kommunikations- und Inspirationsquelle, wie wir uns das erhoft hatten. Immer wieder standen Kinder (und Erwachsene) davor und studierten jedes Detail. Wir hatten den Kindern beim Zwischentreffen unsere alten Digicams ausgeliehen. Mit diesen machten sie Fotos und Videos ihrer Werke, und ich lud sie auf den Bildschirm. Der Bildschirm war daher besonders beliebt, man konnte immer wieder etwas Neues entdecken und die eigenen Erfindungen sowie diejenigen der Kamerad*innen betrachten. Wieso hatten wir das Schaufenster nicht schon vorher besser genutzt? Das online Padlet board wurde hingegen nicht benutzt.
Erfahrungen mit dem Motörli-Frühling
Der Motörli-Frühling mit der Tüftel-Box war ein voller Erfolg. Es gelang, einen Prozess in Gange zu setzen, an dem wir uns schon länger versucht hatten: die Auseinandersetzung mit einem MINT-Thema über längere Zeit, wie das viele mit der Musik oder im Sport tun. Zwei Wochen nach dem offiziellen Ende des Workshop tüftelten mehrere Kinder immer noch mit den Motörchen.
Die kurzen individuellen Treffen unterstützten diesen Prozess. Die Inspiration durch unsere Tüfteleien und diejenigen der Kamerad*innen lieferten die notwendigen Motionsschübe. Wer einmal ausstieg konnte jederzeit wieder einsteigen.
Im Gegensatz zu anderen Formaten wie der offenen Samstagswerkstatt erlaubt uns dieses Format, selber zu tüfteln und zu experimentieren, genauso wie die Teilnehmer*innen. Dies ist Teil des Konzeptes. Es hat uns selber Spass gemacht und motiviert. Und wir haben dabei auch von den Kindern gelernt!
Die online Interaktion und überhaupt die Kommunikation mit den Eltern klappte noch nicht so gut. Damit müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter experimentieren, den Details noch mehr Aufmerksamkeit schenken.
Fazit: Die Pandemie zwang uns, neue, flexible Möglichkeiten des gemeinsamen Tüftelns zu finden und uns mit der Digitalisierung sowie den Alternativen dazu auseinanderzusetzen. Das Resultat überstieg unsere Erwartungen. Wir entdeckten unerwartete Möglichkeiten der Langzeitförderung. Das Format Tüftel-Box by raumschiff@home funktioniert und macht Spass! Es wird einen festen Platz im Programm des Raumschiffs bekommen. Die nächste Tüftel-Box ist für die Herbstferien geplant, wenn es schon früh dunkel wird, zum Thema Licht.
Nachtrag
Gleichzeitig mit der Tüftel-Box schrieben wir einen klassischen online Workshop ab 10 Jahren zum Thema Weltraumwetter aus. Wir sind ja eine Werkstatt für Astronomie! Er stiess jedoch auf wenig Interesse. Das kann zwar verschiedene Gründe haben. Eine gewisse Sättigung an online Angeboten ist sicher einer davon.